Unternehmen weltweit müssen heutzutage in der Lage sein, wirtschaftliche und ökologische Aspekte miteinander zu vereinbaren, wenn sie ihre Entwicklung und ihren Fortbestand sichern wollen. Das Umweltthema stellt eine große Herausforderung dar, denn es umfasst weit mehr als nur ein gutes Abfallmanagement oder den Einsatz erneuerbarer Energien. Oftmals bedeutet es, das eigene Geschäftsmodell völlig neu aufzustellen, damit die Prinzipien der Kreislaufwirtschaft integriert werden können. Leichter gesagt als getan! Um die Tragweite eines solchen Projekts zu erfassen, muss man zunächst definieren, was unter einem kreislaufwirtschaftlichen Geschäftsmodell zu verstehen ist und wie dieses konkret aussehen kann. Raphaël Masvigner, Mitbegründer von Circul'R, teilt seine Expertise zu diesem Thema.
Definition des kreislaufwirtschaftlichen Geschäftsmodells
Ein Geschäftsmodell beschreibt, wie in einem Unternehmen Wertschöpfung betrieben und Gewinne erwirtschaftet werden sollen. Es enthält eine ausführliche Erläuterung des Unternehmensangebots, der Aktivitäten, Stakeholder, Ressourcen, Vertriebswege usw.
Ein Geschäftsmodell der Kreislaufwirtschaft verfolgt das gleiche Ziel, allerdings mit einem Unterschied. Neben der Generierung von Einnahmen zielt seine Strategie auch darauf ab, Umweltbelange bei der unternehmerischen Tätigkeit zu berücksichtigen. Ein kreislauforientiertes Geschäftsmodell ermöglicht es, die berühmten planetaren Grenzen zu respektieren und dabei ein langfristig stabiles Unternehmen aufzubauen.
Was versteht man unter „planetaren Grenzen“?
Eine internationale Forschergruppe hat neun ökologische Bereiche definiert, in denen bestimmte Grenzen nicht überschritten werden dürfen, damit die Ökosysteme der Erde sich regenerieren können. Mit anderen Worten: Das Überschreiten dieser Grenzen erhöht das Risiko einer irreversiblen Destabilisierung unserer Umwelt.
Es geht dabei um die folgenden Bereiche:
Klimawandel
Versauerung der Ozeane
Ozonschicht
Stickstoff- und Phosphorkreisläufe
Süßwasser
Änderungen in der Landnutzung, z.B. Entwaldung
Biodiversität
Luftverschmutzung
chemische Verschmutzung
Manche Geschäftsmodelle der Kreislaufwirtschaft gehen sogar über den Umweltaspekt hinaus und schließen den gesellschaftlichen Aspekt mit ein. Dazu gehören beispielsweise Maßnahmen wie die Beschäftigung von arbeitsmarktfernen Personen, Wiedereingliederung usw.
Da es sich hierbei um ein relativ neues Konzept handelt, ist es wichtig, genau zu definieren, welche Kriterien ein kreislaufwirtschaftliches Geschäftsmodell erfüllen muss. Andernfalls könnten viele Geschäftsmodelle zu Recht oder zu Unrecht als kreislaufwirtschaftliche Modelle bezeichnet werden. Nur wenn man eine klare Vorstellung von diesen Modellen hat, kann man auch gegen Greenwashing vorgehen.
Die verschiedenen Geschäftsmodelle der Kreislaufwirtschaft
Um die verschiedenen Geschäftsmodelle der Kreislaufwirtschaft zu identifizieren, kann man sie nach den drei großen Säulen der Kreislaufwirtschaft kategorisieren: nachhaltige Produktion, verantwortungsvolle Nutzung und End-of-Life-Management.
Nachhaltige Produktion
Diese erste Säule bezieht sich auf die Art und Weise, wie Produkte konzipiert und hergestellt werden. In einer Kreislaufwirtschaft liegt der Schwerpunkt auf der Gestaltung nachhaltiger Produkte, der Verwendung von recycelbaren oder biologisch abbaubaren Materialien sowie der Verringerung des Verbrauchs von natürlichen Ressourcen und Energie.
Nachhaltige Beschaffung
Dieses Geschäftsmodell zielt auf eine effiziente Nutzung von Ressourcen ab. Dabei geht es vor allem darum, die Beschaffung von neuen und kritischen Rohstoffen auf sekundäre (erneuerbare oder recycelbare) Rohstoffe umzustellen.
Beispiel: Die „Refactory“ von Renault
Im Jahr 2020 eröffnete die Renault Group die erste kreislaufwirtschaftlich arbeitende Fabrik in der europäischen Mobilitätsbranche. Das Projekt zielt insbesondere auf die Wiederaufbereitung von Gebrauchtfahrzeugen ab – Teile und Materialien werden wiederverwendet, Batterien von Elektrofahrzeugen repariert und der Anteil an recycelten Materialien in der Neuwagenproduktion erhöht.
Ökodesign
Ein solches Geschäftsmodell setzt voraus, dass bei der Entwicklung neuer Produkte der gesamte Lebenszyklus berücksichtigt wird und die Umweltauswirkungen so weit wie möglich minimiert werden. Dies kann zum Beispiel durch die Herstellung von modularen Geräten oder wiederaufladbaren Produkten geschehen.
Verantwortungsvolle Nutzung
Bei der zweiten Säule der Kreislaufwirtschaft geht es darum, wie Produkte von den Verbrauchern genutzt werden. Sie fördert verantwortungsvollere Arten des Konsums, zum Beispiel den Kauf von langlebigen Produkten, Reparatur und Wiederverwendung anstelle von Ersatz sowie die Reduzierung von Verschwendung.
Das Produkt-Service-System basiert darauf, dass ein Unternehmen nicht das Eigentum an einem Produkt verkauft, sondern dessen Nutzung. Dabei wird der gesamte Lebenszyklus des Produkts berücksichtigt. Die vertragliche Vereinbarung bezieht sich also auf den Nutzen, den der Kunde aus den zur Verfügung gestellten Produkten und Dienstleistungen zieht.
Der Fall Philips Lighting
Seit einigen Jahren hat sich die weltweit führende Marke für professionelle Beleuchtung vom Verkauf von Produkten auf das Angebot von Dienstleistungen verlagert. Philips Lighting verkauft seinen Kunden die Nutzung von Beleuchtungssystemen und nicht die Beleuchtungsprodukte selbst. Das Unternehmen bleibt Eigentümer der Ausstattung und übernimmt das gesamte Management (von der Planung und Installation bis hin zu Betrieb und Wartung).
End-of-Life-Management
Die dritte Säule der Kreislaufwirtschaft befasst sich mit dem letzten Abschnitt im Lebenszyklus von Produkten. Anstatt die Produkte wegzuwerfen, werden sie wiederverwendet, repariert, erneut in Umlauf gebracht oder auf eine Weise recycelt, die einen sinnvollen zweiten Nutzungszyklus ermöglicht.
Mülltrennung und -sammlung
Dieses altbewährte Geschäftsmodell dreht sich um das Thema Abfallbehandlung. Abfälle werden sortiert und gesammelt, um neue Ressourcen zu erzeugen.
Reparatur, Wiederaufbereitung und Recycling
Bei diesem Geschäftsmodell besteht die Idee darin, möglichst kurze Kreisläufe zu nutzen, um neue Einnahmequellen zu schaffen. Unternehmen reparieren, überholen und recyceln, um die Lebensdauer von Produkten und Komponenten zu verlängern oder ihnen eine neue Funktion zu geben.
Der Circular Hub der Manutan-Gruppe
Der europäische Marktführer im B2B-E-Commerce hat seinen allerersten Circular Hub eröffnet. Ziel des Circular Hub ist es, gebrauchte Geschäftsmöbel wiederzuverwenden und auf diese Weise ein Second-Hand-Angebot für die Kunden zu entwickeln. Manutan ist damit das erste Unternehmen der Branche, das einen integrierten Sammel- und Wiederaufbereitungsservice anbietet, der es ermöglicht, Büromöbel ein zweites Mal auf den Markt zu bringen.
Perspektiven für Geschäftsmodelle der Kreislaufwirtschaft
Immer mehr Unternehmen ergreifen heute erste Maßnahmen zur Umstellung auf ein kreislaufwirtschaftliches System, und das aus verschiedenen Gründen. Einige sehen in dem neuen Geschäftsansatz einen echten Leistungshebel, andere betrachten ihn als eine Möglichkeit, die immer strenger werdenden Auflagen zu erfüllen oder den Erwartungen der Verbraucher hinsichtlich einer nachhaltigen Unternehmensführung gerecht zu werden.
Parallel dazu drängen auch Pure Player auf den Markt. Viele große Unternehmen lassen sich von diesen Firmen inspirieren, welche die Kreislaufwirtschaft von Anfang an in den Mittelpunkt ihres Handelns gestellt haben und in Sachen Kreativität und Innovation aus dem Vollen schöpfen.
In einer Podiumsdiskussion bei ChangeNOW 2024 betonte Jean-Philippe Bahuaud, CEO von The Future Is NEUTRAL, die vielen Möglichkeiten der Kreislaufwirtschaft: „Das Potenzial für Innovationen ist enorm, sei es in der Forschung, bei neuen Geschäftsmodellen, Organisationsstrukturen etc. All das gibt uns die Hoffnung, dass es möglich ist und dass es noch viel zu tun gibt.“
In diesem Sinne haben einige Sektoren ihre Transformation besonders beschleunigt:
die Energieindustrie, die durch die Kritikalität der Rohstoffe eingeschränkt ist;
die Textilindustrie, die durch die starke Nachfrage der Verbraucher angetrieben wird;
die Agrar- und Ernährungsindustrie über regenerative Landwirtschaft und die Bekämpfung von Verschwendung.
Trotz dieser Entwicklungen ist es wichtig, sich zu vergegenwärtigen, dass es keine „Musterbranchen“ gibt. Vielmehr ist es interessant, sich von beispielhaften Unternehmen wie Patagonia und seiner umweltfreundlichen technischen Bekleidung oder Interface und seinen nachhaltigen Bodenbelägen inspirieren zu lassen, um in der eigenen Branche eine Bewegung im Dienste der nachhaltigen Entwicklung zu initiieren.